Auf Wolke sieben? Cloud in Forschung und Lehre
Herausforderung Cloud: Seit 2019 engagiert sich Denise Dittrich von der RWTH Aachen University für den breiten Erfahrungsaustausch in Fragen der Cloud-Nutzung. Was es zu beachten gilt und welche Vorteile die OCRE-Rahmenverträge bieten, erzählt die Sprecherin des ZKI-Arbeitskreises Cloud Management im Interview.
26. Juni 2025
Wie sind Sie zum Thema Cloud gekommen?
Ich war an der RWTH lange für zentrale Dienste auf Basis von Microsoft-Produkten wie Exchange oder SharePoint zuständig – alles On-Premises. Es hat sich schnell herausgestellt, dass Microsoft zunehmend eine klare Cloud-Strategie verfolgt. Wir mussten uns früh damit auseinandersetzen und sind dabei auf einige Herausforderungen gestoßen. Naheliegend war, dass wir nicht die Einzigen sind, die sich mit dem Thema befassen müssen.
Der Wunsch nach einer Community, mit der gemeinsam diskutiert und Lösungen gefunden werden können, war groß. Ich bin ein Mensch, der gerne eigene Erfahrungen weitergeben und den gegenseitigen Erfahrungsaustausch fördern möchte.

Herzensthema Cloud: Denise Dittrich engagiert sich im ZKI für den Erfahrungsaustausch in Fragen Cloud-Management. Foto: Maimona Id, DFN
Das Thema Cloud ist mein absolutes Herzensthema. Mein Engagement im ZKI (Verein der „Zentren für Kommunikation und Informationsverarbeitung in Lehre und Forschung e. V.“) war darum ein logischer Schluss – zunächst in der temporären ZKI-Kommission Cloud, in der wir den konkreten Auftragumgesetzt haben, einen Leitfaden zur Einführung von Cloud-Produkten an Hochschulen zu schreiben. Seit Frühjahr 2024 hat sich das Thema im Arbeitskreis Cloud Management (CLM) verstetigt. Ich freue mich, dass ich von Anfang an dabei sein konnte.
Was sind aus Ihrer Sicht die großen Katalysatoren bei der Nutzung von Cloud-Diensten?
Da sind zunächst einmal die starken Eigeninteressen der Public-Cloud-Hersteller. Das macht sich dadurch bemerkbar, dass immer mehr Produkte nur noch in der Cloud angeboten werden. Wir merken außerdem, dass der Funktionsumfang On-Premises stark eingeschränkt wird, was die Nutzung zunehmend unattraktiv macht. Zudem sind viele Dienste nur noch über ein Cloud-Konto beim Hersteller erreichbar, früher ging das noch über Lizenzschlüssel.
„Hochschulen können nicht mehr alles On-Premises bereitstellen.“
Letztendlich müssen wir uns an diese neue Welt anpassen. Hochschulen können nicht mehr alles On-Premises bereitstellen. Eine Lösung ist, sich zusammenzutun. Community Clouds sind zum Beispiel eine gute Möglichkeit, die Souveränität zu wahren und Ressourcen zu bündeln.
Was bedeutet Souveränität im Zusammenhang mit Cloud-Leistungen?
Digitale Souveränität ist ein Wort, was gerade in aller Munde ist. Wenn ich zum Beispiel ein großes SAP-Produkt On-Premises hoste, von dem sämtliche Prozesse in der Verwaltung abhängen, bin ich dann souverän? Weiß ich nicht. Deswegen finde ich die Diskussion rein auf Cloud-Produkte bezogen zu kurz gedacht. Natürlich begebe ich mich mit der Nutzung von Cloud-Leistungen in Abhängigkeit zu einem Hersteller und gebe auch ein Stück weit die Hoheit über meine Daten ab. Darum kann Souveränität auch bedeuten, dass Hochschulen Alternativen anbieten, um Abhängigkeiten zu verringern und den Mitarbeitenden oder Studierenden eine Wahl zu lassen, wo sie ihre Daten ablegen oder welches Produkt sie für ein Szenario verwenden.
Das nennt sich Multi-Vendor-Strategie und ist eine Empfehlung, die wir den Hochschulen geben. Natürlich gibt es Grenzen: Keine Hochschule schafft sich beispielsweise noch eine zweite ERP-Software an. Darüber hinaus gilt: Für Produkte, die gut mit anderen interagieren oder fest in bestimmte Prozesse integriert sind, ist es oft schwierig, Alternativen zu finden.
Welche Treiber für Cloud-Nutzung gibt es intern?
Das sind in gewisser Weise die Nutzenden selbst, Stichwort verteiltes Arbeiten und Verfügbarkeit: Ob im Homeoffice in Düsseldorf oder im Büro in Berlin, seit Corona arbeiten wir wesentlich mobiler und von Standorten unabhängiger. Daraus ergeben sich natürlich ganz andere Anforderungen an die Produkte, die wir nutzen – und damit sind diese ebenfalls indirekte Treiber für die Cloud-Nutzung.
Forschende benötigen für weltweite Kollaborationen mit Projektpartnern außerhalb der eigenen Einrichtung Tools, mit denen sie unkompliziert kommunizieren und kollaborieren können. Das sind in der Regel Cloud-Lösungen. Die Anforderungen der Nutzenden werden immer heterogener. Sie wollen nicht
mehr nur einen Datenbanktyp oder einen Storage-Typ, sie wollen ALLES.
Das ist ganz schön ehrgeizig.
Aber realistisch. Was zu beachten ist: Mit zunehmendem Einsatz von Cloud-Leistungen steigt auch die Eigenverantwortung der Nutzenden stark an. Das ist eine große Herausforderung für Einrichtungen. Wir wissen genau, was passiert, wenn wir keine Cloud-Dienstleistungen anbieten: Die Leute nutzen sie trotzdem. Sie suchen nach Möglichkeiten, ihren Bedarf einfach und schnell zu realisieren. Ich will gar nicht wissen, wie viele Hochschulangehörige ein Google-Konto mit ihrer Hochschul-Mail-Adresse haben. Das ist doch gang und gäbe.
Was ist das Problem?
Im schlimmsten Fall hat man als Hochschule keine Zugriffsmöglichkeiten auf solche Konten – damit auch nicht mehr auf die Daten, die im persönlichen Ablageort des Mitarbeitenden liegen. Das kann ein vertraulicher Projektantrag sein, an dem vielleicht Geld hängt. Wenn dann der Mitarbeitende nicht mehr in dem Projekt oder an der Hochschule arbeitet, kann die Einrichtung nicht mehr darauf zugreifen. Das ist ein nicht zu unterschätzender Kontrollverlust. Und um diese Dunkelziffer zu verringern, müssen wir gute Alternativen für die Nutzenden anbieten.
„Zur Wahrheit in puncto Sicherheit gehört aber auch: Was kritische Infrastrukturmaßnahmen angeht, sind die meisten Cloud-Anbieter im Gegensatz zu uns Hochschulen komplett zertifiziert – vorsichtig ausgedrückt. Manchmal hat es durchaus Vorteile, Cloud-Dienste zu nutzen. „
Außerdem müssen wir die Nutzenden im Umgang mit Cloud-Services schulen und sensibilisieren. Dazu gehört auch die Klassifikation von Daten: Ist etwas streng vertraulich und welche Möglichkeiten der Ablage gibt es dafür? Das macht die Arbeitswelt natürlich um einiges komplexer. Letztendlich gilt das nicht nur für Cloud-Dienste. Datenschutz und Informationssicherheit sind ein grundsätzliches Thema.
Welche Vorteile für Hochschulen sehen Sie noch?
Das sind ganz klar schnelle Verfügbarkeit, aber auch schneller Abbau, was zum Beispiel das Forschungs und Projektgeschäft an Hochschulen unterstützt. Erreichbarkeit unabhängig vom Standort ist für mobiles Arbeiten ausschlaggebend. Kollaborationen sind wesentlich einfacher, weil es gemeinsame Standards und organisationsübergreifende Plattformen gibt. Ein weiterer Vorteil entsteht durch flexible Skalierungsmöglichkeiten. Nehmen wir das Semestergeschäft zu Beginn des Studiums, das viele Ressourcen benötigt, wenn alle Studierenden sich auf einmal einloggen. Entweder ich entscheide mich dafür, Hardware vorzuhalten, um den Semesterstart abzufangen, oder ich verlagere das in die Cloud. Dann kann ich zu Semesterstart für vier Wochen kurz hochskalieren und danach wieder runter. Das sind Effekte, die On-Premises nicht gehen. Ich stelle mir ja nicht für vier Wochen Hardware in die Maschinenhalle und reiße sie raus, um sie dann in sechs Monaten wieder anzuschaffen.
Aber um zu beantworten, welches die richtige Cloud-Lösung für eine Hochschule ist, braucht es ganz klar eine Strategie. Das kann dann Cloud first heißen, aber auch On-Premises first. Auch das ist eine
Cloud-Strategie.
Was ist der allererste Schritt, wenn ich eine Cloud-Strategie aufbauen möchte?
Zunächst einmal ist es wichtig, Gremien und Interessensvertretungen frühzeitig mit ins Boot zu holen und nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen. Es geht darum, alle Beteiligten auf einen Wissensstand zu bringen, um das Thema gut und neutral besprechen zu können. Das ist beim ersten Aufschlag aufwendig und bindet Ressourcen. Nur wenn ich verantwortungsbewusst mit dem Thema Cloud umgehe, baue ich intern Vertrauen auf – und das erleichtert das weitere Vorgehen ungemein.
Die größte Hürde ist, sich erst mal zu sortieren: Wo stehen wir, was wollen wir? Wie sind die Zuständigkeiten? Im ZKI-Kommissionsbericht empfehlen wir, sich einen Cloud-Anbieter herauszupicken und an diesem exemplarisch dengesamten Prozess abzubilden. Wir merken dabei – das betrifft generell
das Thema Digitalisierung –, dass Sonderlocken schlecht funktionieren. Darum sind standardisierte Prozesse so wichtig, sowohl für Digitalisierungs- als auch für Cloud-Prozesse.
Natürlich gibt es intern auch Bedenken nach dem Motto „Cloud kommt von Datenklau“ und Fragen wie: Was bedeutet das für die Ressourcen? Werden wegen Cloud-Diensten Stellen abgebaut? Beim Thema Cloud geht es um Entscheidungsprozesse und die Diskussionen dazu können sehr emotional geführt werden.
Besteht denn die Gefahr, dass Stellen abgebaut werden?
Ich sehe keinen Abbau, sondern eher einen Umbau. Ich glaube, dass langfristig nicht weniger Personal, sondern anderes und vielleicht sogar mehr gebraucht wird. Je nach Strategie fallen vielleicht bestimmte Aufgaben in den Rechenzentren weg, weil zum Beispiel nicht mehr so viel Hardware benötigt wird. Es gibt tatsächlich Hochschulen, die eine Cloud-First-Strategie verfolgenund bei neuen Hardware-Anschaffungen entscheiden, die Services direkt aus der Cloud zu beziehen. Aber ganz ehrlich, diese Veränderungsprozesse brauchen Zeit. Niemand baut von heute auf morgen seine Maschinen ab.
Brauche ich weniger oder mehr Ressourcen, wenn ich auf Cloud setze?
Ich brauche andere Ressourcen und anderes Know-how, zum Beispiel Personal mit anderen Fähigkeiten. Die Herausforderung bei der Cloud-Nutzung ist, diese in die Prozesse der Hochschule zu integrieren. Das heißt, ich brauche Leute, die Ahnung von Schnittstellen und Integration haben und weniger von Betrieb.
Je nachdem, welche Cloud-Strategie man fährt, bleibt vielleicht nicht mehr viel Betrieb übrig. Ich brauche Leute, die organisatorisch begabt sind wie etwa Cloud Service Broker. Diese kümmern sich nicht nur um die Auswahl und Vermittlung von Cloud-Diensten, sondern auch um das Management wie Bereit-
stellung, Skalierung und Interoperabilität. Darüber hinaus sind Menschen notwendig, die sich mit IT-Recht und Datenschutz auskennen, da sich in diesem Bereich Gesetzesgrundlagen häufig ändern, siehe Schrems I und Schrems II.
Inwieweit profitieren die Einrichtungen von den OCRE-Rahmenverträgen?
Wenn ich in den Infrastrukturbereich mit Cloud-Diensten gehen möchte, dann ganz klar über die OCRE-Verträge. Diese sind ein probates Mittel, wenn ich auf eine Multi-Vendor-Strategie setze. Aus dem großen Portfolio kann ich mir maßgeschneidert Cloud-Lösungen zusammenstellen. Außerdem ist gewährleistet, dass alle Rahmenbedingungen und Kriterien erfüllt sind – sei es in puncto Datenschutz, Authentifizierung, beschaffungsrechtlicher Vorgaben oder Rechnungsstellung. Ich habe Standards, auf die ich mich verlassen kann. Das ist ein riesiger Vorteil und eine Erleichterung für die Hochschul-Community.
„Ein Trend ist ganz klar die Bereitstellung von KI-Modellen als Community-Cloud-Lösung.“
Durch OCRE haben wir außerdem eine breite Basis zum Austausch und Vergleich, da alle anderen teilnehmenden Einrichtungen dieselben Verträge zu denselben Bedingungen nutzen.
Welche Trends beobachten Sie bei der Cloud-Nutzung momentan?
Ein Trend ist ganz klar die Bereitstellung von KI-Modellen als Community-Cloud-Lösung. Dabei werden zum Beispiel Open-Source-basierte KI-Modelle lokal aufgesetzt oder die API-Schnittstelle zu Public-Cloud-Modellen so verwendet, dass personenbezogene Daten anonymisiert werden. Das macht die GWDG (Gesellschaft für wissenschaftliche Datenverarbeitung mbH Göttingen) beispielsweise mit ihrem Dienst Chat AI, der über die föderierten Cloud-Dienste des DFN-Vereins angeboten wird.
In NRW haben wir das Projekt KI:connect.nrw, das die Hochschulen des Landes bei der Bereitstellung kommerzieller generativer KI-Dienste unterstützt. Das nutzen gerade viele Einrichtungen, damit Hochschulangehörige ChatGPT nicht einfach unkontrolliert über den Browser nutzen. Außerdem gibt es einige Initiativen, KI-Dienste in die Lernmanagementsysteme der Hochschulen wie Moodle oder Ilias zu integrieren.
Was ist Ihre Prognose, was Cloud-Nutzung an Hochschulen angeht?
Meine Einschätzung ist, dass die Cloud-Nutzung noch ein Stück weit steigen und irgendwann stagnieren wird. Es wird wahrscheinlich auf ein hybrides Cloud-Modell aus Public Cloud und Community Cloud hinauslaufen, zu dem es immer noch Leistungen On-Premises gibt. Ich könnte mir vorstellen, dass gerade kleinere Hochschulen sehr viel in den Communitybereich investieren und Dienstleistungen anderer Einrichtungen bevorzugen– beispielsweise Rechenleistungen, wie sie der Verein für Nationales Hochleistungsrechnen (NHR-Verein) bereitstellt. Da geht es auch um Vertrauen, denn Hochschulen sind nicht kommerziell und unter Umständen kennen sich die Verantwortlichen untereinander sogar persönlich.

Denise Dittrich
Studium der Künstlichen Intelligenz an der Maastricht University | 2010 bis 2012 stellv. Abteilungsleiterin IT-Servicedesk des IT Centers der RWTH Aachen University | 2012 bis 2015 Gruppenleitung Beratung und stellv. Abteilungsleiterin IT-Prozess-unterstützung | seit 2015 stellv. Abteilungsleiterin der Abteilung
Systeme und Betrieb | seit 2020 Leiterin der EUNIS Special Interest Group Cloud Management | seit 2024 Leitung der Cloud-Koordination der
RWTH Aachen University | seit 2024 Sprecherin des ZKI Arbeitskreises Cloud Management
Ob Cloud first oder On-Premises first kann von unterschiedlichen Faktoren abhängen, unter anderem von den Ressourcen im Rechenzentrum oder sogar von der Cloud-Strategie meines Bundeslandes. In einigen Ländern gibt es klare Vorgaben. Wir nehmen derzeit im ZKI wahr, dass gemeinsame Lösungen von Hochschulen anstelle von „jede für sich allein“ von den Ministerien der Bundesländer politisch stark gefördert werden.
Das Gespräch führte Maimona Id vom DFN-Verein.